SEHEN!

Die Fotografien von Alex Nippe sind Foto, Grafik, Malerei zugleich.
Sie fordern das genaue, verlangsamte Schauen und sensibilisieren so den Blick – für das Wenige, das Zarte, das Ungewohnte.
Realität wird als Bildangebot genutzt, das im Prozess von Wahrnehmen, Gestalten, Experimentieren auf vielfältige Art zu Bildern von kompositorischer Klarheit führt.

In den Bildern entwickelt sich die feine Spannung zwischen der kühlen Logik der Komposition und der bildnerischen Verfremdung durch die Bildeffekte der Überbelichtung im Moment des Fotografierens und der Farbgebung im Bearbeitungsprozess. Gegenstände lösen sich auf, Formen werden zu Farbflecken, Kanten laufen ins Leere. Die Grenze des Sichtbaren/Erkennbaren wird berührt, viele Bilder bewegen sich auf dem Grat zwischen Ahnung und Behauptung. Wie weit lassen sich die Bildmittel reduzieren, ohne das Gleichgewicht zwischen logischer Klarheit und teilweise surrealer Atmosphäre aufzugeben?
Die Bilder scheuen die Sprödigkeit nicht, muten den Betrachtern intensives Schauen zu und fordern Bereitschaft zur Beobachtung, Assoziation und Empfindung.
Ist das Gesehene ein Erscheinen oder Verschwinden?
Diesen rätselhaften Punkt fixiert das Foto und lässt mehr offen als es festlegt.

Das Fotografieren ist hier kein kalkulierter Vorgang, der das ausdrucksvolle Abbild von Realität sucht. Es ist vielmehr ein experimenteller Prozess, schnell und konzentriert. Sichere Basis ist die intuitive Bildbalance, das präzise Gespür für die Wirkung von Linien, Flächen, Proportionen und Farben und die Vertrautheit mit den Möglichkeiten der minimalen Kameratechnik. Die Kamera selber tritt häufig als Werkzeug deutlich in Erscheinung. Sie tritt aber so weit in den Hintergrund, dass grafische und malerische Ausdrucksmittel gleichrangig auftreten.

Die Betrachter sind eingeladen zu sehen, zu beobachten, zu empfinden, zu assoziieren, zu denken und sich die Bilder so im individuellen Wahrnehmungsprozess anzueignen.

Astrid Gerhartz

Katalog: Alex Nippe, Fotografie, 2016